ICH HABE EIN BISSCHEN NACHGEDACHT. DARÜBER WELCHE FRAGEN MIR VON STUDIERENDEN GESTELLT WERDEN, WENN ICH MIT IHNEN AUF SOCIAL MEDIA KOMMUNIZIERE. UND WELCHE ANTWORTEN ICH GEBEN WÜRDE. DAHER HIER BITTE: 5 DINGE, DIE PATRICK KAINZ SCHON GERNE ALS STUDENT GEHÖRT HÄTTE. NIEDERGESCHRIEBEN VON PATRICK KAINZ, 12 JAHRE NACHDEM ER SEIN RECHTSWISSENSCHAFTSSTUDIUM AN DER UNI WIEN BEENDET HAT:
1.) Über die Studiengeschwindigkeit
Es geht nicht nur darum, so schnell wie möglich mit dem Studium fertig zu sein. Es gibt natürlich gewisse Vorteile, die Du bekommst, wenn Du schnell studierst. Wie in Österreich zB der Weiterbezug von Kindergeld. Oder dass später in Deinem (Arbeits-)Leben Leute möglicherweise aus einer hohen Studiengeschwindigkeit ableiten glauben zu können, dass Du Leistungen auch unter Druck punktgenau erbringen kannst. Unsere Beurteilungssysteme auf den Unis bilden individuelle Begabungen noch immer zu wenig ab. Daher wird die Dauer, in der Du Dein Studium abschließt noch immer als objektive Größe angesehen, um Dich mit ganz unterschiedlichen Menschen zu vergleichen. Die „Studiengeschwindigkeit“ ist aber sicher nicht die einzige Größe anhand der man sich zB in einem Jobbewerbungsprozess für Dich oder eine andere Person entscheidet. Manches mal sind es zB Deine Hobbies, die plötzlich eine unerwartete Verbindung zu Deinen zukünftigen Arbeitgeber*innen herstellen und Dir den ersten Schritt in Deiner Karriere erlauben. Ich habe zB von einer Person gehört, die im Bewerbungsgespräch Tierdokumentationen schauen als Hobby genannt hat. Das war zufällig auch eine große Leidenschaft der interviewenden Person. Damit bestand gleich eine ganz andere Gesprächsbasis, mit der der/die Kandidat*in aus der Masse an Bewerber*innen hervorgestochen ist. Die Studiengeschwindigkeit wurde zweitrangig.
Lass dich also nicht verunsichern und komm bitte erst gar nicht auf die Idee, dass du Dein Studium abbrechen müsstest, weil du (vorübergehend) nicht so schnell unterwegs bist. Weil – erstens – kann es sein, dass Du bald einen Aha-Moment hast und vielleicht einen weiteren Teil des Studiums doch so superschnell absolvierst, dass Du Dich selber noch überraschst (habe ich bei Bekannten erlebt). Und zweitens ist die Dauer Deines Studiums nicht für alle Deine potentiellen Arbeitgeber*innen in der Zukunft gleich relevant.
2.) Über die Wichtigkeit, Systeme und Methoden zu erlernen
Es ist gut, wenn Du den Lernstoff für die nächste Prüfung sehr schnell auf Deine Art in Dein Hirn transportieren kannst. Behalte aber bitte beim Büffeln im Hinterkopf, dass es darum geht, ein System zu erlernen. Rechtswissenschaften sind eine Denkweise, eine Methode an Probleme heranzugehen und zu lösen. Dinge wie das Vergleichen scheinbar unzusammenhängender Sachverhalte, die Anwendung von abstrakten Theorien auf ein konkretes Problem – all das sind Denkweisen, die Dir in vielen Jobs später sehr weiterhelfen können. Auch hast Du vielleicht schon erkannt, dass es gar nicht so notwendig ist, dass man in einem Rechtsgebiet jeden noch so kleinen Aspekt auswendig beherrscht. Es geht vielmehr darum, dass Du einen Überblick hast und weißt, wo Du Details nachschauen kannst, um dann ein komplettes Bild vor Dir zu haben. Und darum, mit diesem Gesamtblick dann rechtliche Probleme Deiner zukünftigen Arbeitgeber*innen, Mandant*innen oder (meist unfreiwillig) auch Deiner Freund*innen bei der nächsten Dinnerparty besser lösen zu können.
3.) Über die Wichtigkeit Deiner Gesundheit
Nummer drei: Schau ein bisschen auf Dich. Vielleicht ist es ja für Dich nicht das richtige, das Dogma des ständigen Überstrapazierens in der Juristerei unreflektiert zu übernehmen? Während meiner Studienzeit hatte ich noch den Eindruck, dass man nichts erreichen kann, wenn man sich nicht bis zur Selbstaufgabe „verbrennt“. Und da studiert und arbeitet man dann auch wiederholt bis spät in die Nacht und die Nacht durch, wenn es erforderlich ist, um die nächste Deadline zu erreichen. Erstens ist fraglich, ob das wirklich notwendig ist und man da nicht auch etwas mit dem eigenen Lernplan verbessern könnte. Oder mit der Arbeitsorganisation in den Jobs-(aber das nur nebenbei). Worauf ich hier hinaus will: Es gibt sehr viele Menschen, die einfach etwas mehr Energie haben als andere. Die also mit „all nighters“ besser umgehen können. In meiner eigen Wahrnehmung habe ich zum Glück sehr viel Energie. Aber ich habe mich selbst oft überschätzt, weil ich mich mit den falschen Leuten gemessen habe, die einfach noch länger sitzen konnten. Und ich bin dann ganze Wochenenden im Urlaub mit Krankheitssymptomen flachgelegen, weil ich die ersten Erschöpfungsanzeichen meines Körpers unter der normalen Arbeitswoche ignoriert hatte. Auch bin ich mindestens einmal sehr knapp am Burnout vorbeigeschrammt. Andere wiederum meinen mit einem hohen Tempo nur durch die Verwendung von bestimmten Substanzen mithalten zu können und gefährden ihre Gesundheit noch zusätzlich. Auch auf der Uni habe ich schon mitbekommen, dass manche zu „kleinen Helferlein“ greifen, weil sie meinen, dass sei der einzige Weg, um mit dem Druck besser umgehen zu können. In einem optimalen Szenario solltest Du aber schon früh üben, Deine eigenen Grenzen zu erkennen, zu respektieren und Deine Arbeitszeit so produktiv und effektiv zu nutzen, dass du möglichst viel Lebenszeit auch außerhalb von Lernen und Arbeit verbringen kannst. Das erlaubt Dir dann hoffentlich die lange, erfüllende Karriere und das gesunde (Familien-)Leben, dass Du Dir schon als Student*in erträumst.
4.) Über die Wichtigkeit, man selbst zu sein
Es gibt nicht den oder die Juristin. Es gibt gewisse Bilder, die überliefert sind und die auch von den Medien immer wieder gegeben werden, weil sie bestehenden Klischees entsprechen. (Wie oft werde ich durchschnittlich pro Monat gefragt, ob mein Job so ist wie bei „Suits“ oder „How to get away with murder“? Sehr oft!) Menschen sind Gewohnheitstiere und es macht sie glücklich, bestimmte Muster wiederzuerkennen. Aber diese Muster sind nicht für alle Menschen gleich passend, weil sie viele Personen und Meinungen nicht erfassen. Wenn Du Dich nicht in diesen Mustern und Stereotypen repräsentiert fühlst, bedeutet das noch lange nicht, dass Du nicht für einen juristischen Beruf geeignet wärst. Die Juristerei ist eine sehr schöne Disziplin und erlaubt immer mehr auch sehr vielen unterschiedlichen Charakteren, sich darin zu entfalten. Das wird einem nicht immer gleich leicht gemacht und teilweise muss man sich diese Freiräume erst erkämpfen. Aber lass Dich jedenfalls bitte nicht davon abschrecken. Mit viel Ausdauer, Talent und natürlich Glück kannst Du im besten Fall Großes erreichen. Und es ist auch absolut ok, wenn Du Deine Studienwahl an machen Tagen bereust. Das ist ganz normal, auch wenn Dir manche erklären, es gäbe einfach nichts schöneres für Sie, als den ganzen Tag zu lernen. Und wenn Du gerade nicht weißt, ob sich die ganze Hacke überhaupt lohnt; ob das was nach dem Studium kommt erstrebenswert ist: Ich sage Dir, dass ich gerade in keinem Beruf lieber arbeiten würde, als in meinem. Auch wenn es Tage gibt, an denen ich mich ein bisschen weniger gut motivieren kann, als an anderen. Auch das ist normal.
5.) Über die Wichtigkeit, sich mit Dingen außerhalb der Rechtswissenschaften zu beschäftigen
Vergiss vor lauter Vorbereitung auf die nächsten Prüfungen nicht darauf, Dich auch durch Dinge außerhalb der Juristerei inspirieren zu lassen. Literatur, Kunst, Architektur, Fotografie Biologie, Chemie, Physik, Psychologie, Finanzen, unterschiedlichste Sportarten, etc.- you name it. Abseits der Rechtswissenschaften gibt es unheimlich spannende Gebiete, die auch Deine juristische Arbeit sehr positiv beeinflussen können. Beispielsweise hat meine Liebe zur Musik und digitaler Kunst dazu geführt, dass ich nach dem Studium an der Uni Wien noch einen LL.M. in IP and Technology Law in Singapur gemacht habe. Und heute auch Künstler*innen rechtlich berate. Dazu wäre es nicht gekommen, wenn ich in diesem Bereich meine Interessen nicht auch verfolgt und später mit meinem juristischen Wissen kombiniert hätte. Außerdem solltest Du Dir vor Augen halten, dass es viele Menschen da draußen geben wird, die ähnliches Wissen wie Du in Deinem Fachbereich haben. Aber wenn Du aus der Masse herausstechen möchtest, hilft es Dir, wenn du durch Dinge außerhalb Deines Kernstudiums zu einer noch interessanteren Person wirst, mit der man sich einfach gerne unterhält.
Bottom line:
Natürlich ist das alles absolut subjektiv und du wirst sehr viele Menschen da draußen finden, die nicht mit mir einer Meinung sein werden. Auch bin ich mir bewusst, dass ich mit unheimlichen Privilegien ausgestattet bin, die mir meinen Weg erleichtert haben (als able bodied Cis-Mann, der einen österreichischen Pass hat, die Landessprache perfekt spricht, und sich das Geld für sein Studium in Österreich nicht verdienen musste). Klar ist auch, dass ich nie eine Lösung oder einen Rat anbieten kann, der auf alle Eure Lebenssachverhalte genau passt. Aber es gibt wie gesagt nicht nur zwei oder drei Prototypen von Jurist*innen; sondern so unterschiedliche und vielfältige Wege, wie das Leben selbst facettenreich ist. Und ich wünsche Dir, dass Du den für Dich passenden eigenen Weg findest und gehen kannst, der Dir ein zufriedenes Leben ermöglicht.